Endlich war es einmal gelungen: Die Ein Ladung zum Sonnenaufgang am 21. December – der Wintersonnenwende – ins besterhaltene und größte aller steinzeitlichen Hügelgräber Irlands, ist eingelangt. Frei von anderen Verpflichtungen konnten wir sie diesmal endlich annehmen und fuhren zu noch „nachtschlafener Zeit“ eine Stunde in den Norden Dublin, nach Newgrange.
Der erste Sonnenstrahl des kürzesten Tages des Jahres gelangt durch einen eigenen Lichtschlitz oberhalb des Einganges durch den gerade eben mannshohen schmalen 19 Meter langen Gang, der mit unvorstellbarer Fertigkeit aus passenden Felsblöcken vor etwa 5500 Jahren errichtet wurde.
Bis in den hintersten Winkel der Grabkammer ganz hinten in der Mitte des mächtigen Hügel würde die Sonne nur an diesem Tag dringen, wobei sie nach und nach das ganze Innere des Hügelgrabes mit ihrer Feuerglut erhellen kann.
Die Erwartung ist allen gemeinsam: Drei irische Minister, ein- bis zweihundert feiernde Schaulustige mit Trommeln und Yoga-outfits, lokale Fremdenführer und Angestellte sammeln sich schon eine Stunde vor Sonnenaufgang i beliebten archäologischen Park “Newgrange”, Co Meath. Die Jagd nach einem Platz im Inneren des Grabes am geschichtsträchtigen River Boyne an einem der 5 Sonnenaufgänge rund um den 21.12. ähnelt unserer jährlichen Jagd in Wien nach Tickets für das Neujahrskonzert. Durch das Los wird sie entschieden.
Die erste Eintrittkarte hatte heuer die 12-jährige Aine mit Downsyndrom aus einem rein irischsprachigen Gebiet in entfernten extremen Norden der Republik, Co Donegal, durch Los gewonnen. Wie ganz typisch für diese Kinder begrüßte sie überschwänglich die ganze Runde von Auserwählten.
Außer ihr war allen schnell klar, dass es bei diesem Regenwetter und den tief hängenden Nebelwolken keinen strahlenden Sonnenaufgang geben werde. Aine hingegen hielt begeistert bei allen eine letzte Resthoffnung auf Segen bringenden irischen Wind aufrecht. Der Himmel könnte vielleicht doch noch aufreißen…
Diese Hoffnung bestärkend bringt uns nun die Führungsleiterin erklärend immer näher an die geheimnisvollen Erbauer des Hügels heran. Man kann diese in ihren technischen, astronomischen, meteorologischen, geologischen und geographischen Kenntnissen am ehesten mit den Pyramidenbauern Ägyptens vergleichen.
Weite Gebiete Westeuropas sollen mit ähnlichen Hügeln überzogen gewesen sein. An der Iberischen Halbinsel soll alles angefangen haben. Hier sind die Steinbrüche bis zu 80 km entfernt, von denen die Hinkelsteine auf ungeklärte Weise hergeschleppt worden seien. Ein 15 Meter hoher Dom wölbt sich über unseren Köpfen, die kreuzförmige Grabkammer weist Zick-Zick-Ritzungen, die berühmten irischen Spiralen, Wellenlinien und Dreiecke in Karo-Form auf.
Unser Staunen hinauf in die kunstvoll mit flachen Felsblöcken geschichtete Kuppel wird durch das Ausknipsen des elektrischen Lichtes unterbrochen. Im Stockdunklen bleibt jetzt der Geruch der Jahrtausende übrig, den die Sinne dankbar wahrnehmen. Und dann die Stimme von Prof. George Eogan. Der Archäologe und Ausgräber vieler neolithischer Schätze in ganz Irland ergreift das Wort und erklärt sachlich ausgewogen das Wenige, was als gesichertes Wissen gilt.
Er leitet langsam über zu den verschiedenen Hypothesen über Herkunft der jungsteinzeitlichen Bevölkerung, deren Sonnenreligion, deren Ernährung und Bestattungsriten, deren Lebenserwartung und Kampfesfreudigkeit. Wie damals gibt es auch heute in Irland oft nur Sonne am Morgen und am Abend, während es mittags oft nieselt oder wolkig wird. Der sonnige Sonnenaufgang war damals vielleicht noch viel öfter zu beobachten als heute. Wie viele Klimaveränderungen in 5500 Jahren müssen sich da abgespielt haben!
Im Stockdunklen beginnen diese Menschen der Jungsteinzeit vor unserem geistigen Auge lebendig zu werden. Die Felder, auf denen genau wie heute Schafe und Kühe, Kleinpferde und Hühner weideten, kann man sich leicht vorstellen. Transportboote benützten sie, ein leichtes grob gebundenes Holzgerüst mit Tierhaut überzogen, auf die wohl die riesigen, zig-tonnen-schweren Steine verladen wurden, um sie vom Meer über den Fluß heranzuschaffen, wie man im Museum als Rekonstruktion sehen kann. Wie stark muß wohl die Bewaldung Irlands damals gewesen sein, dass man Baumstämme zur Verfügung hatte, dick genug um diese Steinblöcke vom Fluß zum Hügelgrab herauf zu ziehen? Generationen harte Arbeit hat das bedeutet.
Fragen werden an Prof. Eogan gestellt zur unbekannten Religion, zu den Bautechniken und zu Rekonstruktionen bzw. Original in der Präsentation heute. Bei diesem Gespräch im Dunkeln geht es mit keinem Wort um irgendeine Emotion oder innere Wahrnehmung von Strömungen, geschweige denn außerirdischen Kräften. Ein sachliches Gespräch wird von interessierten Zuhörern mit einem älteren Professor geführt, der jeden Gedanken und jede Antwort charmant aus dem Ärmel schüttelt.
Schwach nur erhellt mittlerweile das matte Tageslicht aus dem bewölkten Himmel den Boden und Teile der Wände des Grab-Korridors. Draußen vor dem Grab nieselt es leise auf die Yoga praktizierenden Sonnwend-Anbeter, deren Trommeln wir schwach bis nach drinnen vernehmen können.
Und doch, beim Hinausgehen schon gesteht mir der Arbeitsminister, wie merkwürdig anders er sich da gefühlt hätte, als ob eine Verbindung mit einer anderen Welt, einer uralten Zeit hergestellt worden wäre. Lächelnd und verlegen gibt er es zu und sofort stimmen wir ihm bei, beinahe glücklich, daß es einer ausgesprochen hat. Was war das nur? Ist die Sonne doch irgendwie präsent oder sind es die Generationen von Ur-Ur-Vorfahren, die uns ihre Nähe spüren haben lassen?
Bei heißem Tee und üppigem irischem Frühstück schmunzelt man noch weiter, geht schnell zur Tagespolitik über. Aber irgendwie klingt diese späte abwesende Wintersonne im Abschiedswunsch mit, der da lautet: “Merry Christmas” – Weihnachten ist für die Auserwählten heuer an diesem kürzesten Tag des Jahres hier in Newgrange “auf-ge-gangen”.
Ich kann nicht umhin, zwischen der Jahrtausendealten Hingebung der Inselbewohner an die für sie so unschätzbar wertvolle Sonne und ihrer Aufnahme jenes Christus eine Verbindung zu sehen. Jener Jesus, der so früh nach seiner Geburt bereits als das “Licht der Welt” erkannt wurde. Sollte Er deshalb vor 1500 oder mehr Jahren hier mit so offenen Armen wie sonst nirgendwo auf der Welt aufgenommen worden sein?
Druiden und Medizinmänner sollen bekanntlich der Tradition nach “auf diese Frohe Botschaft” förmlich gewartet haben, als die ersten Aposteljünger auf der Insel landeten. Das war der Grund für die Annahme des Christentums ohne jedes Blutvergießen, wenigstens hier auf der “Insel hinter der Insel”, sagt man.
Aglaë Hagg-Thun, Dublin, Weihnachten 2011
2 Antworten auf Sonnenaufgang für Weihnachten